Störungen der Pubertätsentwicklung
Was ist die Pubertät?
Die Pubertät ist als der Lebensabschnitt definiert, in dem sich Kinder zu Jugendlichen und schließlich zu erwachsenen Frauen und Männern entwickeln. In dieser Entwicklungsphase kommt es sowohl zu körperlichen als auch psychischen Veränderungen: So löst man sich in dieser Phase ein Stück weit von den Eltern ab und wird selbstständiger und am Ende der körperlichen Entwicklung steht die Fortpflanzungsfähigkeit. Es kommt also zu psychologischen und biologischen Veränderungen, die zu einer körperlichen und sexuellen Reifung und zur Ausreifung der Persönlichkeit führen. Typisch für diese Entwicklungsphase sind ein Unabhängigkeitsbestreben (Autonomiebestreben), eine große Kreativität und eine Tendenz, Gefahren eher gering einzuschätzen und ein größeres Risiko in Kauf zu nehmen. Entwicklungsgeschichtlich, also evolutionär gesehen, hat die Phase der Pubertät durch Kreativität und Risikobereitschaft die Fortentwicklung von ganzen Kulturen beschleunigt und die Fortpflanzungsfähigkeit gegen Ende der Pubertätsentwicklung sichert den Erhalt der Spezies.
Welche Veränderungen geschehen in der Pubertät?
Beim Jungen kommt es zunächst zur Größenzunahme der Hoden, ab einem Hodenvolumen >3 ml spricht man vom Pubertätsbeginn. Durch vermehrte Bildung des männlichen Geschlechtshormons Testosteron kommt es zum Auftreten von Scham-, Bart- und Achselhaaren, zu einer Zunahme der Muskelmasse, nächtlichen Samenergüssen sowie zu einem Wachstum des Kehlkopfs mit Tieferwerden der Stimme („Stimmbruch”). Außerdem entwickelt sich ein Pubertätswachstumsschub.
Erstes Pubertätszeichen bei Mädchen ist der Beginn der Brustentwicklung (Thelarche), die auch einseitig beginnen kann. Der Brustdrüsenkörper ist im Anfangsstadium nur zu ertasten und fühlt sich wie eine kleine Kugel oder eine kleine Scheibe an. Danach folgt die Entwicklung der Schambehaarung (Pubarche). Vor dem Eintritt der ersten Menstruationsblutung (Menarche) – im Alter von durchschnittlich 12½ Jahren – kommt es zu einem deutlichen Wachstumsschub. Gleichzeitig verändern sich bei beiden Geschlechtern die Körperproportionen. Seelische Veränderungen umfassen das Bestreben nach Partnerschaften und eine erhöhte Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit dem sozialen Umfeld (z. B. Eltern, Lehrer etc.).
Wie kommt es zu den typischen Veränderungen während der Pubertät?
Der Zeitpunkt des Pubertätsbeginns ist von verschiedenen genetischen Faktoren abhängig, wird aber auch von einer Reihe anderer Faktoren beeinflusst. Insbesondere das Körpergewicht spielt eine wichtige Rolle. Alle Vorgänge in der Pubertät werden von Hormonen ausgelöst und gesteuert. Hormone sind Botenstoffe, die von spezialisierten Hormondrüsen gebildet werden. In einer bestimmten Gehirnregion, dem Hypothalamus im Zwischenhirn, wird das zentrale Regelzentrum für die Bildung des Hormons GnRH (= Gonadotropin-Releasing [= freisetzendes] Hormon) aktiviert und das Hormon pulsierend ausgeschüttet. Dadurch kommt es zu einer Anregung der Hirnanhangsdrüse (Hypophyse), die wiederum vermehrt die Gonadotropine LH (luteinisierendes Hormon) und FSH (follikelstimulierendes Hormon) freisetzt. Die Gonadotropine sind Hormone, die beim Mädchen die Eierstöcke und bei Jungen die Hoden anregen, die wiederum die weiblichen Geschlechtshormone (Östrogene und Gestagene) bzw. das männliche Hormon Testosteron produzieren. Die Veränderungen während der Pubertät sind also das Ergebnis einer großen Zahl von Signalen, die von Gehirn und Hormondrüsen ausgesandt werden. Zum Pubertätseintritt kommt es aber nur, wenn diese Signale zusammenpassen, also „koordiniert” zustande kommen, der Körper sich in einem normalen Ernährungszustand befindet und keine schweren Krankheiten durchmacht.
Wie bemerke ich, dass die Pubertät nicht von alleine eintritt?
Der Zeitpunkt des Pubertätsbeginns ist bei Kindern sehr unterschiedlich. Mädchen treten im Durchschnitt ca. zwei Jahre früher in die Pubertät ein als Jungen. Bei Mädchen beginnt die Pubertät heute im Mittel mit etwa 10 Jahren, bei Jungen mit ca. 12 Jahren. Von einem zu frühen Pubertätseintritt spricht man, wenn beim Mädchen das Brustwachstum vor dem Alter von 8 Jahren bzw. bei Jungen das Hodenwachstum vor dem 9. Geburtstag auftreten. Von einem verspäteten Pubertätseintritt spricht man, wenn die ersten Pubertätszeichen auch mit 14 Jahren beim Jungen bzw. mit 13 Jahren beim Mädchen noch nicht eingetreten sind. Fehlt die Entwicklung der sekundären, also äußerlichen Geschlechtsmerkmale über das angegebene Zeitalter hinaus, dann kann man daraus schließen, dass die Pubertät mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht von alleine eintreten wird.
Da das Knochenalter besser das biologische Alterwiderspiegelt, spielt seine Bestimmung eine große Rolle, um den Zeitpunkt des Pubertätsbeginns festzulegen. Man bestimmt das Knochenalter mit einer Röntgenaufnahme der linken Hand. Das röntgenologische Auftreten des sogenannten Sesambeins, das heißt des Schaltknochens der Hand, kennzeichnet den Beginn der Pubertät. Dies entspricht einem Knochenalter von 11 Jahren bei Mädchen und 13 Jahren bei Jungen. Erkrankungen, die mit einer Verzögerung des Skelettwachstums einhergehen, haben auch eine verzögerte bzw. ausbleibende Pubertätsentwicklung zur Folge.
Die für die Pubertätsentwicklung relevanten Hormone können in einer Blutuntersuchung gemessen werden. Manchmal sind auch Stimulationstests nötig, mit denen die Hormonreserven und die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Hormonen (Botenstoffen) untersucht werden können. Die Bestimmung des Knochenalters mittels einer Röntgenaufnahme der linken Hand kann wichtige Informationen über den bevorstehenden Pubertätsbeginn geben. Spezielle Untersuchungen wie Magnetresonanztomographie (MRT) des Kopfes und Ultraschalluntersuchungen der inneren Geschlechtsorgane (z. B. Eierstöcke, Gebärmutter) können wichtige Hinweise über die Ursache eines verspäteten (oder verfrühten) Pubertätseintritts liefern.
Wenn die Pubertät nicht spontan, das heißt,nicht von selbst in Gang kommt, kann die Ärztin/der Arzt die Pubertät mit der Gabe von Hormontabletten, Hormon-Pflastern oder -Gels oder Hormonspritzen künstlich einleiten. Dabei werden die Hormone, die natürlicherweise die Pubertät steuern und die heutzutage pharmazeutisch hergestellt werden können, verabreicht (Mädchen: natürliche Östrogene, Jungen: Testosteron). Man spricht von einer sogenannten hormonellen Entwicklungstherapie und später auch Hormonersatztherapie. Wichtig ist dabei, dass die Veränderungen, die natürlicherweise langsam abgestimmt auftreten, erst nach und nach im Gleichklang mit den Altersgenossen der betroffenen Jugendlichen herbeigeführt werden.
Wie lange muss eine Behandlung, die den Pubertätseintritt bewirkt, durchgeführt werden?
Die Pubertätsentwicklung ist nach ca. zwei bis drei Jahren Behandlung abgeschlossen. Die Behandlung mit Geschlechtshormonen muss aber bei den Betroffenen mit einer Unterfunktion der Geschlechtsdrüsen (Hypogonadismus) lebenslang fortgeführt werden, um Mangelerscheinungen wie z. B. vermehrte Knochenbrüchigkeit (Osteoporose) zu verhindern. Bei Frauen ist auch noch der Schutz vor Herzinfarkt und Schlaganfall durch das Östrogen ein wichtiger Grund für eine langfristige Hormonersatztherapie.
Welche Gefahren gibt es durch Hormonbehandlungen, die die Pubertät auslösen können?
Hormonbehandlungen müssen von spezialisierten Ärzten, sogenannten Endokrinologen (= Ärzte für Hormonstörungen), durchgeführt und überwacht werden. Bei Überdosierung von Geschlechtshormonen kann es in der Wachstumsphase zu einem vorzeitigen Verschluss der Wachstumsfugen kommen. Es können vor allem unter Östrogen-Ersatztherapie Störungen der Blutgerinnung (Blutgerinnselbildung = Thrombose) und eine übermäßige Gewichtszunahme auftreten. Eine langjährige orale, also über Tabletten durchgeführte ÖstrogenTherapie kann auch zu einer Leberschädigung führen. Zu Persönlichkeitsveränderungen und Veränderungen des äußeren Erscheinungsbildes kommt es möglicherweise dann, wenn eine Frau mit männlichen Hormonen bzw. ein Mann mit weiblichen Hormonen behandelt wird.
Die frühe Pubertät
Eine Frühpubertät beim Mädchen ist durch die beginnende Brustentwicklung vor dem Alter von 8 Jahren definiert. Parallel dazu ist fast immer auch ein vorzeitiger Wachstumsspurt zu beobachten. Entwicklung von Schamhaaren, Achselhaaren, Gesichtsakne und Schweißgeruch sind beim Mädchen Zeichen einer vorzeitigen Aktivierung der Nebennieren-Hormone. Auch vermehrte Stimmungsschwankungen des Kindes oder Scheidenausfluss können Zeichen einer beginnenden Pubertätsentwicklung sein.
Eine Frühpubertät bei Buben ist durch die Zunahme des Hodenvolumens > 3 ml vor dem Alter von 9 Jahren definiert. Parallel dazu ist fast immer auch ein vorzeitiger Wachstumsspurt zu beobachten. Entwicklung von Schamhaaren, Zunahme der Penisgröße, Entwicklung von Achselhaaren, Gesichtsakne, Stimmbruch, Zunahme der Muskelmasse und Schweißgeruch sind weitere Pubertätszeichen bei Jungen.
Wenn die Veränderungen beim Mädchen vor dem 8. Geburtstag und beim Jungen vor dem 9. Geburtstag beginnen, muss ein Kinderendokrinologe bzw. eine Kinderendokrinologin aufgesucht werden.
Normvarianten des normalen (physiologischen) Pubertätsablaufs sind das isolierte Auftreten einer vorzeitigen Brust- (isolierte Thelarche) oder Schamhaar-Entwicklung (prämature Pubarche) bei Mädchen vor dem 8. Geburtstag und bei Jungen vor dem 9. Geburtstag (prämature Pubarche). Sie müssen von echten Störungen der Pubertät abgegrenzt werden. Diese vorzeitigen Teilentwicklungen der Pubertät sind meistens ohne Krankheitswert und in der Regel ohne Einfluss auf die weitere Entwicklung. Oft findet sich bei diesen Varianten kein auffälliger Wachstumsspurt.
Besonders sorgfältig müssen allerdings Mädchen untersucht werden, die bei Geburt zu klein und/oder zu leicht waren (sogenanntes small for gestational age - SGA-Kinder) und bei denen häufiger eine Schambehaarung vorzeitig auftritt. Diese Kinder haben ein höheres Risiko im Erwachsenenalter eine Störung der Eierstöcke zu entwickeln, die man als polycystisches Ovarsyndrom (PCOS) bezeichnet.
Normvarianten des körperlichen Pubertätsablaufs treten isoliert auf, das heißt, es kommt z. B. bei Mädchen nur zu einer Brustentwicklung ohne Schamhaare. Diese tritt bevorzugt bei Mädchen in den ersten 3 Lebensjahren auf. Alle Normvarianten stellen Ausschlussdiagnosen dar, das heißt, sie müssen durch Kinderendokrinologen/-innen von echten Störungen der Pubertät abgegrenzt werden.
Eine echte frühe Pubertät (Pubertas praecox) wird zentral aufgrund einer vermehrten Ausschüttung von Gonadotropinen (LH/FSH) ausgelöst. Die zentrale Pubertas praecox kommt bei Mädchen häufiger vor als bei Jungen. Nach Diagnosestellung einer zentralen Pubertas praecox wird in den meisten Fällen eine Kernspintomographie (Magnetresonanztherapie – MRT) von Gehirn und Hirnanhangsdrüse durchgeführt. Erst wenn man keine Ursache findet, spricht man von einer idiopathischen Pubertas praecox.
Eine falsche frühe Pubertät (Pseudo-Pubertas praecox) entsteht aufgrund einer vermehrten “peripheren” (das heißt nicht von der Hirnanhangsdrüse gesteuerten) Produktion von Sexualsteroiden in den Eierstöcken, Hoden oder in der Nebenniere, die unabhängig von den “zentralen” Gonadotropinen abläuft. Hier kommen z. B. Tumore von Eierstöcken und Hoden oder der Nebenniere infrage.
Was kann ich tun, wenn die Pubertät bei meinem Kind zu früh eintritt?
Wenn die Pubertät im Kindesalter zu früh einsetzt, dann kommt es häufig auch zu seelischen Störungen aufgrund des „Andersseins” des Kindes. Die Kinder werden oft von Schulkameraden in der Schule gehänselt oder von Lehrern oder anderen Betreuungspersonen überfordert, da die Kinder schon älter aussehen. Ohne adäquate Therapie verläuft die Pubertätsentwicklung in einigen Fällen sehr rasch, so als würden sie mit einem Hochgeschwindigkeitszug durch die Pubertät fahren.
Bei einer frühen Pubertät ist das Knochenalter beschleunigt und die Kinder hören früher auf zu wachsen, wodurch die Gefahr einer geringen Endgröße besteht. Die Behandlung der verfrühten Pubertät erfolgt heute mit Hormonspritzen, die alle 3-4 Wochen unter die Haut (subkutan) verabreicht werden. Mittel der Wahl sind sogenannte Stimulatoren (Agonisten) des Hormons GnRH. Es wird durch diese Therapie so viel GnRH freigesetzt, dass es recht rasch nach Therapiebeginn keine GnRH-Bindungsstellen an der Hirnanhangsdrüse mehr gibt. Die Hirnanhangsdrüse kann dann nicht mehr angeregt werden, produziert keine Gonadotropine mehr produziert und die Pubertät bleibt stehen. Die Therapie wird in der Regel bis zum Erreichen des mittleren Pubertätseintrittsalters gesunder Kinder durchgeführt. Die Behandlung der Pubertas praecox sollte durch Kinderendokrinologen/-innen durchgeführt werden.