Wachstum und Pubertät bei Adrenogenitalem Syndrom
Das Adrenogenitale Syndrom ist eine seltene Erkrankung der Nebennieren, bei der durch Störung der Hormonproduktion ein Mangel an Gluko- und Mineralokortikoiden entsteht. Diese Hormone übernehmen lebenswichtige Funktionen im Stoffwechsel und der Regulation des Salzhaushaltes. Ein Mangel muss daher durch Medikamente (Hydrocortison und Fludrocortison) ausgeglichen werden.
Symptome
Auf der anderen Seite stauen sich durch die gestörte Hormonproduktion Vorstufen von Gluko- und Mineralokortikoiden an, die in der Nebenniere zu männlichen Geschlechtshormonen (Androgenen) weiter verarbeitet werden. Diese Androgene führen bei Mädchen zu einer Vermännlichung unterschiedlichen Ausmaßes, je nachdem, wie stark die mangelnde Balance der drei Hormongruppen (Glukokortikoide, Mineralokortikoide, Androgene) ausgeprägt ist. Die vermehrte Androgenwirkung kann im milden Fall lediglich eine verstärkte Akne während der Pubertät bedingen, im schweren Fall deutliche Veränderungen des äußeren Genitale mit phallusartigem Wachstum der Klitoris.
Bei Jungen kann ein unzureichend behandeltes Adrenogenitales Syndrom zu einer Veränderung an den Hoden führen. lm Falle einer langfristigen Unterversorgung mit Glukokortikoiden kann versprengtes Nebennierengewebe in den Hoden zu gutartigen Geschwülsten wuchern. Das umgebende Hodengewebe wird durch Druck geschädigt, was wiederum Einfluss auf die spätere Fruchtbarkeit haben kann.
Bei beiden Geschlechtern sind durch die starke Androgenwirkung Störungen im Wachstum und in der Pubertätsentwicklung möglich. Androgene bedingen eine Reifungsbeschleunigung. Diese geht mit einem für das jeweilige Alter zu schnellen Wachstum und einer zu frühen Pubertät einher. Bei einer deutlichen Reifungsbeschleunigung kommt es zu einem vorzeitigen Schluss der Wachstumsfugen in den Knochen. Die Patienten können dann ihr genetisch programmiertes Wachstumspotenzial nicht ausschöpfen.
Glukokortikoide wiederum können sich im Falle einer Überdosierung ungünstig auf das Knochenwachstum auswirken. Auch in diesem Fall erreichen die Patienten ihre genetisch vorgesehene Körpergröße nicht.
Kinder und Jugendliche mit Adrenogenitalem Syndrom sind somit aus zwei Gründen von einer Wachstumsstörung mit Kleinwuchs bedroht: zu viel Glukokortikoidwirkung (durch Überdosierung von Hydrocortison) bzw. zu viel Androgenwirkung (durch Unterdosierung von Hydrocortison).
Behandlung
Die Behandlung des Adrenogenitalen Syndroms zielt im Kindes- und Jugendalter daher darauf ab, die für das Entwicklungsalter gerade richtige Menge an Hydrocortison anzuwenden. Um diese ,,richtige Dosis" zu finden, stehen verschiedene Hilfsmittel zur Verfügung. Die Stoffwechseleinstellung kann anhand von Laboruntersuchungen aus Blut-, Speichel- und Urinproben beurteilt werden. An diesen Werten kann man allerdings nur erkennen, wie gut der Stoffwechsel aktuell, also in den Tagen vor der Probenabnahme, eingestellt war. Diese Kontrolluntersuchungen finden bei jungen Kindern und im Pubertätsalter in der Regel drei- bis sechsmonatlich statt.
Die Qualität der mittel- bis langfristigen Stoffwechseleinstellung ist zum einen anhand der Wachstumsrate des Kindes abzulesen. Diese wird viertel- bis halbjährlich beurteilt. Ein zu schnelles Wachstum vor der Pubertät spricht für eine zu starke Androgenwirkung (Unterdosierung von Hydrocortison), ein zu langsames Wachstum für eine Überdosierung von Hydrocortison.
Zudem wird die langfristige Stoffwechseleinstellung anhand des körperlichen Reifegrades mittels Bestimmung eines sogenannten Knochenalters eingeschätzt. Dieses wird in der Regel einmaljährlich, in kritischen Phasen (z. B. Pubertät) mitunter auch halbjährlich bestimmt. Ein vorgereiftes Knochenalter spricht dabei ebenfalls für eine zu starke Androgenwirkung (Unterdosierung von Hydrocortison), ein zurückbleibendes Knochenalter für eine Überdosierung von Hydrocortison. Mit dem Knochenalter kann man sowohl eine Entwicklungsbeschleunigung (z. B. bei Unterdosierung Hydrocortison) als auch eine Entwicklungsverzögerung (z. B. bei Überdosierung Hydrocortison) erkennen. Das Knochenalter darf +/- 1 Jahr vom chronologischen Alter abweichen, wenn die Kinder älter als 7 Jahre sind. Bei Kindern < 7 Jahre wäre eine Knochenalterabweichung vom chronologischen Alter +/- 1/2 Jahr normal, bei Kindern <4 Jahre +/-1/4 Jahr.
Resümee
Zusammenfassend sind neben der Verhinderung von akuten Stoffwechselkrisen ein normales Wachstum und eine zeitgerechte Pubertät wesentliche Therapieziele in der Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Adrenogenitalem Syndrom. Die Betreuung dieser Patienten sollte durch Kinderendokrinologen erfolgen, da diese über die größte Erfahrung bezüglich der Therapiesteuerung in der Wachstums- und Pubertätsphase verfügen.
Dr. med. Ulrike Jacoby
Oberärztin
Kinder- und Jugendklinik Universitätsmedizin Rostock
Ernst-Heydemann-Straße 8
D-18057 Rostock